Die Ausstellung auf 2 Etagen ist in Ihrer Farbigkeit eher zurückhaltend, schwarz und weiß dominieren den ersten Eindruck, Naturtöne rutschen nach, grau, braun, Holz. Alle Objekte bewegen sich skulptural im Raum: schweben vor der Wand, schmiegen sich an Wände oder Laibungen, stehen und liegen im Raum, erklimmen Sockel.
Die Niederländerin Monique Kwist denkt mit ihren Arbeiten über die Tiefe und Stille nach. Prägedrucke ziehen Raumkonturen nach, nur nach oben offene Räume fangen Bewegungen ein. Die kleinformatigen Modelle erinnern an Architektur, zeigen aber sozusagen das Gegenteil: den Hohlraum zwischen oder in Gebäuden, Auf- und Abstiege in ein nach oben Geöffnetes. Die Niederländerin Kwist läßt ihre Skulpturen Halt finden auf Holzstücken und Sockeln, an Kanten des Raumes: diese Unterstützungen verwachsen mit den präzisen und archaischen Skulpturen, die tlw. aus Kunstharz mit Metallspänen schichtenweise aufgebaut werden. Andere Skultpuren sehen aus wie Abgüsse, genau und abstrakt zugleich – als Reliefs finden Sie sich zwischen den Modellen und geprägten Papierarbeiten.
Julia Gubitz, die Besitzerin dieses freien Galerie, zeigt Zeichnungen und skulpturale Arbeiten, die stark von der Linie, dem Bezeichnen bestimmt sind. Als Gegengewichte finden sich kleine kompakte Keramiken, die sich in ihren Stoffbezügen verstecken und dadurch Formverwandlungen erfahren. Die Bronzen sind raumgewordene Zeichnungen. Sie fahren Raumlinien ab, bilden skeletthafte Raumvorschläge en miniature. Anders als ihre Zeichnungen laden Gubitz‘ Skulpturen zum Anfassen, Anheben, mit der Hand Umfahren ein, um sie besser zu verstehen. Alle ausgestellten Werke kennzeichnet eine große Offenheit. Offenheit aus semantischer Mehrdeutigkeit, eine Offenheit zum Raum, der sich in den angedeuteten Raumkonturen frei schwingend bewegen kann, eine Offenheit der Form für unsere verschiedenen Lesarten, mögliche und unmöglichen Assoziationen.
Stephan Wagners Holzarbeiten nehmen uns mit in eine andere Zeitlichkeit. Ihr Zwischenzustand auf der Mitte von Funktionalität und Rauheit läßt uns beide Enden des Entstehens mitsehen: das vorgefunden Holzstück und das Werkzeug. Und den Vorgang des Bearbeitens dazwischen, das sich handwerklich am Widerstand der Materie abarbeiten. Folgerichtig sind die kleinteiligen Objekte wie Fundstücke in einem archäologischen Museum präsentiert. Sie scheinen aus einer Zeit zu stammen, die wir nicht mehr erinnern, die aber noch unser Handeln prägt.
Von Louis Zoller raffinierten Umfahrungen auf dem I-pad oder mit dem Kugelschreiber habe ich leider kein Foto gemacht. Sie zeigen genau das Gegenteil: feine Linien umkreisen sich, bilden als Gruppen Zentren aus, deren symmetrische Lage an Chakren, Körper, Organisches denken macht. Die Liniengruppen stehen in Beziehung zueinander, sie ordnen sich vor unseren Augen neu und fortwährend um. Wir können durch die angedeuteten Aussenkonturen ins Räumliche hindurchblicken, irgendwann bleibt der Blick durch die Verdichtung der Striche aber auf der Blattoberfläche gefangen. Alles wirkt weich und bewegt, eine gewisse Unschärfe bei aller Präzision der Linien ist den Drucken eigentümlich, die andere Schwerpunkte auf dem Format, im Raum vorstellbar macht. Auch hier werden wir – wie bei Wagner – in den Entstehungsprozess mit hineingenommen und beginnen die Techniken in Gedanken fortzuspinnen.
Die Hängung schafft lebhafte Auseinandersetzungen zwischen den Arbeiten der vier verschiedenen VerfasserInnen. Der Raum zwischen den Aufstellungsorten vibriert, überall sind anregende Bezüge der Objekte hergestellt: unsere Blicke tasten Böden und Wände ab, messen Zwischenräume zwischen großen und winzigen Formaten, lassen sich von Linien gefangen nehmen, springen zurück zum gegenüberliegenden Kunstwerk.
Wenn sich das Erdgeschoss so energiereich beschreiben ließe, so ist das lichtdurch-flutete Obergeschoss stiller, ein Schatzkästlein voller Preziosen. Fast wie beim Juwelier stehen die tlw. polierten Bronzen von Julia Gubitz auf ihren weißen Erhöhungen. In kleinen Gruppen wie im Gespräch, nehmen sie sich zwar gegenseitig zur Kenntnis, aber mit höflichem Abstand. Ab und zu entdecken wir massive textile Skulpturen, breit gelagert auf Sofa und Sockel, die sich ebenfalls mit einschwingen auf diese Freude am zurückhaltenden Entdecken. Eine feine Stellungnahme zu den Möglichkeiten von Kunst als Gesprächspartner. Unbedingt ansehen. Mitten in der fachwerkhaltigen Altstadt von Salzwedel.
Ausstellung im Studio Zeitgenössische Kunst 05.04. bis 15.5.2024
Di-Do 14-17.00 Westermarktstr. 7 in 29410 Salzwedel
mit
Monique Kwist – Leere im Abdruck
Julia Gubitz – Aufbauten in der Fläche
Stephan Wagner – Werkzeug und Gestalt
Louis Zoller – Bionische Skizzen